Literaturwettbewerb: 1. Platz

Das Literaturhaus Wien veranstaltete im Zuge des Internationalen Literaturfestivals Erich Fried Tage einen Schreibwettbewerb fĂŒr SchĂŒler*innen österreichischer Schulen. Das Thema lautete „Eine Stadt von Morgen“.

„Morgen, werden wir es besser machen!“ Jeden Tag aufs Neue verschoben auf das Morgen, das immer spĂ€ter wurde, bis es schließlich in das Jetzt ĂŒberging und nichts mehr ĂŒbriggeblieben ist, als das Echo der Vergangenheit. (Judith Wald)

Im Zuge des Wahlpflichtfaches Deutsch „Kreatives Schreiben“ hat Judith Wald einen Text geschrieben mit dem sie den Literaturwettbewerb gewonnen hat. Judith wurde fĂŒr den 1. Platz auserwĂ€hlt und wir gratulieren ihr von Herzen zu dieser grandiosen Auszeichnung.

Wer liest, hat mehr vom Text: zurĂŒcklehnen und genießen. Hier der Text von Judith Wald:

Morgen werden wir es besser machen!

 „Morgen werden wir es besser machen!“ der rote Schriftzug auf der Plakatwand, auf dessen Papier sich die Spuren der Verwitterung deutlich abzeichnen, schreit förmlich voller Hoffnung. Seit ich ihn das erste Mal gelesen habe, damals noch zaghaft stockend mit meinen frisch erworbenen Kenntnissen, hat er sich kaum verĂ€ndert. Regen und Wind ließen das anfangs noch krĂ€ftige Rot verblassen und auch die Folie blĂ€ttert langsam ab. Meine Eltern erzĂ€hlten mir, dass er in ihrer Jugend erstmalig zu sehen war. In der ganzen Stadt verteilte man Plakate mit diesem Satz, er sollte die Welt verĂ€ndern.

Vorsichtig setze ich einen Fuß vor die TĂŒr. Die heiße Luft des Herbstes schlĂ€gt mir entgegen. Mit ihr fĂŒllen sich meine Lungen auch mit dem stechenden Gas und der beißende Geruch setzt sich in meiner Nase fest. In den letzten Jahren verschlimmerte es sich nur, und besonders die Ă€lteren Generationen, welche nicht damit aufgewachsen sind, leiden unter der zunehmenden Belastung.

Ich betrachte das Plakat. Direkt gegenĂŒber von dem Haus, in dem wir Unterschlupf gefunden haben, prangt es ĂŒber dem verkommenen Supermarkt. Ich kann mich nicht erinnern, ob man in diesem jemals Lebensmittel vorfand. Niemand kĂŒmmerte sich je um die Instandhaltung. Ein bitteres LĂ€cheln huscht ĂŒber mein Gesicht, als mein Blick ĂŒber die prachtvollen HĂ€user schweift, die unter dem roten Schriftzug emporragen. Viele Menschen tummeln sich auf dem Brett aus Holz, drĂ€ngen durcheinander um ebenfalls einen Blick von ihrem neuen Leben zu erhaschen. Alle tragen ein strahlendes Lachen mit sich herum.

Einsam wandere ich durch die menschenleeren Straßen. Die DĂ€mmerung taucht sie in ein braunes Licht und lĂ€sst die Löcher im Asphalt noch bedauernswerter aussehen. Geschickt mache ich einen Bogen um die GebĂ€ude, deren GemĂ€uer bereits zerfĂ€llt. Kurz bevor ich an die Hauptstraße gelange, setze ich meine Maske auf. Bei meinen Eltern konnte ich die tödlichen Auswirkungen der Abgase beobachten. Und ich selbst möchte nicht demselben Schicksal verfallen.

Aus der Ferne sehe ich bereits das schwache Leuchten des blassroten Schriftzugs. Auch ĂŒber der stark befahrenen Straße gehört der hervorragende Zustand, in dem er einst war, der Vergangenheit an. Die Worte sind die gleichen, mit Bedacht gewĂ€hlt, doch die Abbildung darunter ist eine andere.

Durch ein Fenster blickt man hinunter auf eine Straße, frei von jeglichen Fahrzeugen. An ihrer Seite strecken BĂ€ume ihre Äste in Richtung Sonne, in einem ewigen Kampf um das meiste Licht. Einige erreichten das Glas und geben einem das GefĂŒhl, sanft durch das BlĂ€tterdach zu gleiten. Das BirnengrĂŒn der Baumkronen steht im Kontrast zum Himmel, dessen Farbe der des Schmetterlings gleicht, den ich zuletzt, da hatte ich kaum laufen gelernt, im Garten meiner Großeltern zu Gesicht bekam.

Fast beruhigend gleichmĂ€ĂŸig höre ich das Tosen der Autos, die eilig an mir vorbeirauschen, wĂ€hrend ich langsam den Gehsteig entlang spaziere. Manchmal stelle ich mir vor, sie wĂ€ren der Fluss, den ich nur aus ErzĂ€hlungen kenne, wie er sich langsam aber bestĂ€ndig einen Weg durch die Welt bahnt und seinem Lauf Unmengen an Wasser folgen. Er scheint niemals stehen zu bleiben, sich von nichts aufhalten zu lassen, genauso wenig wie die blechernen Geschöpfe, die mir die Luft zum atmen nehmen. In ihren GegensĂ€tzen ergĂ€nzen sie sich perfekt, das eine, das selbst der trostlostesten Gegend Leben einhaucht und das andere, das eine solche Gegend schafft.

Mein Weg fĂŒhrt mich durch eine schiefe Gasse, abseits des giftigen Flusses. Im Schatten hoher HĂ€user lauert sie; gespenstisch, auf mich wartend. Schon oft bin ich diese Route gegangen, kein einziges Mal, ist es mir erspart geblieben, sie zu durchqueren. Beleuchtet wird sie nur von einem etwa hĂŒfthohen Kasten in ihrer Mitte, ein alter Bildschirm, der seiner Umgebung eine dunkle, blĂ€uliche Farbe verleiht. Als ich mich ihm nĂ€here, erscheint der rote Schriftzug. Doch sogleich verschwindet er und an seine Stelle tritt die Gondel einer Seilbahn, welche ĂŒber die Stadt gespannt ist. Sie beginnt sich zu bewegen und auch hier sind die gezeigten Straßen frei von Autos und von GrĂŒn umgeben. Verschiedene Bilder wechseln einander ab, Pflanzen, Menschen, die glĂŒcklich wirken und verschiedene Ansichten der Gondel. Eine Stimme aus einem kleinen Lautsprecher ertönt, tief aber enthusiastisch: „Morgen haben wir die Antwort auf all unsere Probleme- Gondeln, bessere Atemluft, nachhaltige Energie, mehr Möglichkeiten! Gondeln- Fortbewegung in der Zukunft!“ Ein Lachen ist zu hören und das Video wird von vorne abgespielt. In der Stille hallt die Stimme bis plötzlich der Film ins Stocken kommt. Der Bildschirm beginnt zu flackern und das Lachen erklingt wieder und wieder. „Gone – Gone – Gone 
“ kommt es aus dem Lautsprecher. Wie eine Welle umschließt mich eine nasse KĂ€lte, dringt in mich ein bis in die letzte Knochenfaser, bis ich aus nichts anderem mehr zu bestehen scheine. Schnell beeile ich mich, von hier wegzukommen.

Mit wenigen Schritten rette ich mich in die WĂ€rme der nĂ€chsten Einbiegung. Nicht weit und ich stehe am Rand eines tiefen Grabens, der sich kilometerweit durch die Landschaft schlĂ€ngelt. Vor mir sehe ich eine BrĂŒcke nur einige HĂ€userblocks entfernt, an ihrem GelĂ€nder ein riesiges Banner mit unverkennbaren, roten Buschstaben. Unterhalb heben sich graue und grĂŒne Silhouetten von dem sterilen weißen Hintergrund ab. Sie haben die Form von Flaschen und TĂŒten und ebenfalls in rot steht in der unteren Ecke des Banners „biologisch abbaubar“ geschrieben.

Bei der BrĂŒcke angelangt mache ich zaghaft einen Schritt auf den von Rissen durchzogenen Beton. Ich wage einen weiteren und als es so wirkt, als könnte mich das Gestell tragen, bleibe ich nicht mehr stehen.  Nicht einen Moment blicke ich in die Tiefe des Grabens, ich weiß was sich darin befindet. Als das Wasser immer weniger wurde und schließlich vollkommen verschwand, begannen die Menschen, den ĂŒbrigen Raum zu nutzen, um dort ihre AbfĂ€lle zu entsorgen; Verpackungen, Plastikflaschen, Autoreifen und auch alte Lampen, sowie ganze Möbel. All das wurde hier zurĂŒckgelassen. Über die Jahre wurde es so viel, dass das Flussbett mittlerweile zur GĂ€nze aufgefĂŒllt ist.

Am Fuße eines HĂŒgels endet die BrĂŒcke. Ich wĂ€hle den einfachsten Weg hinauf. Unter meinen Schuhen höre ich, wie Äste und GestrĂŒpp gerĂ€uschvoll zerbrechen. Wie die noch ĂŒbrigen BaumstĂ€mme sind auch sie schwarz wie die Nacht, die kein Ende nimmt. ‚Berg der Flammen‘ ist der Name, den man ihm gab, als er in einer ungewöhnlich trockenen Zeit zwei Jahre lang brannte. Das Feuer riss alles Leben mit sich und hinterließ nur die Erinnerung an das Vergessene.

Mein Ziel, die Wasserausgabe an der Spitze, habe ich nun fast erreicht. Ich drehe mich um und blicke hinunter auf die Stadt. In den letzten schwachen Strahlen der untergehenden Sonne geborgen, liegt sie vor mir. Verlassen, dazu verdammt zu verfallen und doch ist sie ein Zuhause, solange bis auch der letzte Mensch von hier fortgeht, das letzte GebĂ€ude, dem Erdboden gleich und nichts mehr von ihr ĂŒbrig ist.

„Morgen, werden wir es besser machen!“ Jeden Tag aufs Neue verschoben auf das Morgen, das immer spĂ€ter wurde, bis es schließlich in das Jetzt ĂŒberging und nichts mehr ĂŒbriggeblieben ist, als das Echo der Vergangenheit. Ein leeres Versprechen, auf das niemals Handlungen folgten, stattdessen kam das Leid und die Angst und man verkroch sich unter den tröstlichen Worten alles versucht zu haben. Die, so tröstlich sie auch sein mögen, nur eine LĂŒge darstellen, denn das hat man nicht. Die Schilder, Plakate und Videos, all das nur der Versuch sich der Verantwortung zu entziehen, der man sich nicht entziehen kann.

Der einst krÀftig rote Schriftzug, voller Hoffnung, nun verblasst.

Morgen wollte man es besser machen.

 

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